Wie können sich unterschiedliche Formen der Bürgerbeteiligung nach Stufenmodellen unterscheiden und kategorisieren lassen?

von Marie Klar, Stefanie Lück und Luise Pairan

In den letzten 30 Jahren vollzog sich ein Wandel von der Dienstleistungskommune zur Bürgerkommune. Es wird zunehmend darauf geachtet, die Bürgerinnen und Bürger in politische Entscheidungen miteinzubeziehen. Sie sollen sich an der Gestaltung ihrer Kommune beteiligen. Dafür gibt es verschiedene Instrumente, wie den Bürgerhaushalt, das Bürgerbudget, den Bürgerrat, Informationsveranstaltungen, Bürgerbüros, Volksabstimmungen und vieles mehr. Doch was davon ist wirklich ein Beteiligungsinstrument? Wo haben die Bürgerinnen und Bürger tatsächlich Partizipationsmöglichkeiten? Verschiedene Stufenmodelle versuchen hier, eine Unterscheidung hinsichtlich des Umfangs, der Reichweite und Qualität der Partizipation zu treffen.1  

Abb. 2: Beteiligungsformen entlang der Stufenleiter der Partizipation nach Claussen 2013 – Quelle: https://www.netzwerk-buergerbeteiligung.de/fileadmin/Inhalte/PDF-Dokumente/newsletter_beitraege/nbb_claussen_131213.pdf
Abb 3: 12-Stufen-Leiter nach Trojan 1990 – Quelle: https://leitbegriffe.bzga.de/alphabetisches-verzeichnis/partizipation-mitentscheidung-der-buergerinnen-und-buerger/

Das erste Modell “Ladder of Citizen Participation” (siehe Abb. 1) wurde im Jahr 1969 von der US-amerikanischen Partizipationsforscherin Sherry Arnstein entwickelt und dann von Patrizia Nanz und Miriam Fritsche modifiziert. Das Konzept der Beteiligungsleiter soll die unterschiedlichen Intensitäten von Partizipation veranschaulichen.2 Darauf baut die Stufenleiter der Partizipation von Wiebke Claussen 2013 (siehe Abb. 2) auf, welches eine differenziertere Weiterentwicklung von Arnstein ist. Als drittes Modell kann die 12-Stufen-Leiter von Trojan 1990 (siehe Abb. 3) herangezogen werden.  

Alle drei Modelle gehen davon aus, dass auf den untersten Stufen gar keine echte Partizipation stattfindet. Die Bürgerinnen und Bürger werden hier lediglich durch selektierte Informationen manipuliert und gelenkt. Der mittlere Part der Leitern beschreibt die Vorstufen der Partizipation.3 Hier werden die Bürgerinnen und Bürger umfangreich informiert und auch angehört. Sie haben die Möglichkeit ihre Meinungen, Wünsche und Beschwerden zu äußern sowie sich laut Claussen sogar bürgerschaftlich zu engagieren und in Planungsverfahren mitzuwirken4, können jedoch nichts entscheiden. Erst im oberen Teil der Leitern findet echte Partizipation statt, bei der die Bürgerinnen und Bürger bis zu vollständige Entscheidungs- und Durchführungsmacht erhalten. Die oberste Stufe, bei der die Bürgerinnen und Bürger Selbstverwaltung ausüben können5 und “Bürgermacht” 6 herrscht, geht sogar über Partizipation hinaus.  

Die verschiedenen Formen der Beteiligung lassen sich in diese Modelle einordnen. Ein häufig genutztes Instrument der Beteiligung ist der Bürgerhaushalt. Dieser hat das Ziel die Bürgerinnen und Bürger aktiv in Planung und Ausführung des Haushalts einzubeziehen. Dafür können Bürgerinnen und Bürger Vorschläge und Anregungen einbringen, über die Politik und Verwaltung dann entscheiden. Da die Bürgerinnen und Bürger dabei keine Entscheidungskompetenzen haben, lässt sich der Bürgerhaushalt eher weiter unten in die Vorstufe der Partizipation einordnen.  

Anders hingegen sieht es bei dem Bürgerbudget aus. Hier steht den Bürgerinnen und Bürgern ein von Politik und Verwaltung festgelegtes Budget zur Verfügung, das sie für ein Projekt nutzen können. Wieder werden Vorschläge dafür gesammelt, jedoch stimmen am Ende die Bürgerinnen und Bürger darüber ab, welches Projekt umgesetzt werden soll. Da sie hier nicht nur konsultativ tätig sind, sondern ihnen Entscheidungsmacht delegiert wird, kann man das Bürgerbudget im oberen Bereich der echten Partizipation einordnen.  

Ein weiteres Instrument ist der Bürgerrat, bei dem zufällig ausgeloste Bürgerinnen und Bürger in Diskussionsrunden zusammenkommen und Lösungsvorschläge sowie Handlungsvorschläge zu bestimmten Themen für Politik und Verwaltung ausarbeiten. Ähnlich wie beim Bürgerhaushalt haben die Bürgerinnen und Bürger auch hier keine Entscheidungskompetenz, weshalb der Bürgerrat ebenfalls nur eine Vorstufe von echter Partizipation ist. Allerdings steigt die Bedeutung des Bürgerrats dadurch an, dass Politik und Verwaltung tatsächlich die Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger zu diesem Thema einbeziehen wollen. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist der Berliner Klimabürger:innenrat, bei dem die Empfehlungen der Berlinerinnen und Berliner in die Entscheidungen des Senats einfließen können. Er ist vor allem daran interessiert, welche Maßnahmen zum Klimaschutz sie bereit sind mitzutragen. Überdies entwickelt und bewertet der Klimarat Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele in Berlin.7  

Weitere Beteiligungsformen wie Bürgerbüros und Informationsveranstaltungen sind, wie der Name schon sagt, lediglich dafür da, die Bürgerinnen und Bürger zu informieren und zählen daher unter Nicht-Partizipation. Allerdings kann man ihnen zugutehalten, dass sie die Bürgerinnen und Bürger auch dazu anregen, sich zu beteiligen.  

Andererseits gibt es auch Instrumente der direkten Demokratie, wie den Volksentscheid, bei dem die Bürgerinnen und Bürger zu einem gewissen Thema abstimmen. Das Ergebnis dieser Wahl ist für die Politik verbindlich. Dieser ist unter anderem in der Verfassung von Berlin rechtlich verankert und kann daher zur institutionalisierten Entscheidungsmacht nach Trojan8 gezählt werden.  

Es gibt allerdings auch Kritik an den Beteiligungsleitern. Zum Beispiel wird Arnstein dafür kritisiert, dass ihr Modell nur veranschaulicht, wie viele Beteiligungsmöglichkeiten den Bürgerinnen und Bürgern von der Politik geboten werden, nicht aber, wie viel Einfluss und Interventionspotenziale die Bürgerinnen und Bürger mit sich bringen.9 Diese Kritik wurde dann aber in der Weiterentwicklung des Modells von Claussen umgesetzt.  

Abschließend kann gesagt werden, dass die Stufenleitern darauf aufmerksam machen, dass nicht alle sogenannten Beteiligungsinstrumente den Bürgerinnen und Bürgern tatsächliche Beteiligungsmöglichkeiten bieten. Somit geben sie einen Anreiz, mehr echte Bürgerbeteiligungen durchzuführen und so das Leitbild der Bürgerkommune zu fördern.  


1 Vgl. Nanz und Fritsche (2012), S. 24.

2 Vgl. Nanz und Fritsche (2012), S. 23.

3 Vgl. Claussen, W (2013), S. 3.

4 Vgl. Claussen, W (2013), S. 3.

5 Vgl. Claussen, W (2013), S. 3.

6 Vgl. Nanz und Fritsche (2012), S. 23.

7 Vgl. Berliner Klimabürger:innerat (o.D.) .

8 Vgl. Wright (2016).

9 Vgl. Nanz und Fritsche (2012), S. 24.


Literatur- und Quellenverzeichnis

Berliner Klimabürger:innerat (o.D.) Allgemeines zum Klimabürger:innenrat. Internetseite, online unter: https://www.berlin.de/klimabuergerinnenrat/zum-verfahren/#losverfahren (Zugriff: 02.06.2022).  

Claussen, W (2013). Wo können Beteiligungsprojekte in der Sozialen Stadt auf der Stufenleiter der Partizipation angesiedelt werden? eNewsletter Netzwerk Bürgerbeteiligung 04/2013 vom 13.12.2013. Online unter: https://www.netzwerk-buergerbeteiligung.de/fileadmin/Inhalte/PDF-Dokumente/newsletter_beitraege/nbb_claussen_131213.pdf. (Zugriff: 22.04.20). 

Nanz, Patrizia & Fritsche, Miriam (2012). Handbuch Bürgerbeteiligung. Verfahren und Akteure, Chancen und Grenzen. Schriftenreihe Band 1200. Bundeszentrale für Politische Bildung. Bonn. Online unter: https://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/76038/handbuch-buergerbeteiligung (Zugriff: 22.04.20).  

Wright, M (2016). Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger. Eintrag in das Verzeichnis der Leitbegriffe. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrg.). Online unter: https://www.leitbegriffe.bzga.de/alphabetisches-verzeichnis/partizipation-mitentscheidung-der-buergerinnen-und-buerger/ (Zugriff: 22.04.20). 

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5 Antworten zu Wie können sich unterschiedliche Formen der Bürgerbeteiligung nach Stufenmodellen unterscheiden und kategorisieren lassen?

  1. Kati Frickmann sagt:

    Der Blogbeitrag informiert darüber, wie verschiedene Bürgerbeteiligungsformen nach Stufenmodellen kategorisiert und eingeordnet werden können.
    Für mich ist es spannend, die unterschiedlichen Verfahren aus dieser Sicht zu betrachten, weil dadurch erkennbar wird, dass einige Verfahren, etwa der Bürgerrat oder der Bürgerhaushalt, die mir zunächst den Eindruck vermittelt hatten, dass sie relativ starke Beteiligungsinstrumente darstellen würden, durch die Unverbindlichkeit der Empfehlungen letztendlich eher unten in das Stufenmodell eingeordnet werden. Es ist häufig der Fall, dass Bürgerinnen und Bürger nur zur Beratung herangezogen werden, sie aber bei tatsächlichen Entscheidungen nur selten einbezogen werden. Jedoch ist es meiner Meinung nach trotz der Unverbindlichkeit dennoch positiv, wenn die Ergebnisse als Beratungsgrundlage von Entscheidungsträgern zumindest angehört und diskutiert werden.
    Instrumente wie der Volksentscheid beweisen weiterhin, dass durch direkte Demokratie, die sogar verfassungsrechtlich verankert ist, Ergebnisse von Bürgerbeteiligungsprozessen durch Abstimmungen auch verbindlich sein können.
    Ergänzend ist zu erwähnen, dass meiner Meinung nach Beteiligungsinstrumente wie Information oder Konsultation trotz der niedrigen Ansiedlung im Stufenmodell dennoch einen Schritt in die richtige Richtung darstellen und nützlich für Bürgerinnen und Bürger sind, um zunächst ein besseres Verständnis von Prozessen erlangen zu können.

  2. Maren Schulze sagt:

    Ich finde gut, dass ihr Modelle genommen habt, die auch zeigen, dass Partizipation nicht gleich immer Partizipation bedeutet, sodass man einzelne Beteiligungsformen kritischer hinterfragen kann auch in Bezug auf mögliche Verbesserungen. Man erkennt daran, dass Bürgerbeteiligung weiterhin ausbaufähig ist und auch in Zukunft noch weiter gefördert werden sollte.

  3. Paula Wunderlich sagt:

    Ich finde euer Blogeintrag ist euch sehr gut gelungen und man hat gemerkt, dass ihr euch sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt habt.

    Ich finde es sehr interessant, dass man in allen Modellen klar erkennen kann, dass es eine Abstufung der Partizipation gibt und die verschiedenen Bürgerbeteiligungsverfahren darauf aufteilen kann. Durch das Mitwirken an Vorschlägen für einen Bürgerhaushalt bekommen die Bürger das Gefühl sich einbringen zu können, jedoch liegt es an der Politik und Verwaltung diese Vorschläge auch wirklich umzusetzen. Dennoch hat man als Bürger das Gefühl sich politisch positionieren und einbringe zu können. Anders sieht es dann ja schon wieder bei dem Bürgerbudget aus. Welches Beteiligungsverfahren ist nun also das Beste?
    Mit welchem Prozess kann ich das Gefühl der Bürger*innen bestärken, sich politisch eingebracht und etwas verändert zu haben?

  4. Dua Koyun sagt:

    Ich finde die Stufenmodelle sehr interessant und finde, dass die verschiedenen Bilder den Text anschaulicher machen. Der Text ist gut verfasst und lässt sich leicht lesen.
    Die drei Modelle sagen viel über die Partizipation innerhalb der Bürgerschaft aus. Ich finde das erste Modell „Ladder of Citizen Participation“ am anschaulichsten. Außerdem finde ich gut, dass ihr auch über die Kritikpunkte geschrieben habt. Das lässt den Leser und die Leserinnen die Modelle nochmal hinterfragen. Der Blogeintrag ist euch sehr gut gelungen.

  5. Tim Maschke sagt:

    Mir hat euer Blog-Eintrag wirklich sehr gut gefallen.
    Die Einarbeitung der Bilder hat definitiv dazu beigetragen einen groben Überblick über die drei Modelle zu erhalten und dabei festzustellen welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede es dabei gibt. Die Einarbeitung der Beispiele Bürgerhaushalt, Bürgerbudget und Bürgerrat verdeutlicht die Unterschiedlichkeit der Modelle nochmal extra. Auch zum Abschluss nochmal darauf hinzuweisen, dass nicht alle Beteiligungsinstrumente wirkliche Beteiligungsmöglichkeiten darstellen, ist für mich ein sehr wichtiger Punkt, da der manchmal dann doch übersehen wird.

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