E-Learning wird sowohl von Anbietern als auch von Benutzern oft aus pragmatischen Gründen gewählt: es ist nicht ortsgebunden, multimedial, zeitsparend und modern. Doch damit sind die Möglichkeiten dieses Mediums noch lange nicht ausgeschöpft. Die Wahl der richtigen Sprecherstimme bei der Gestaltung von E-Learningelementen kann den Lernerfolg potenzieren.
Die Macht der Stimme
Das Gesagte eines Menschen umfasst viel mehr als den semantischen Inhalt der verwendeten Wörter und Satzstrukturen. Hinter den semantischen Bedeutungseinheiten versteckt sich eine ganz andere Dimension von Sinn und Inhalt: Die Stimme. Frequenz, Melodie, Rhythmus, Tempo, Lautstärke, Klangfarbe, Betonung, Variation – all diese phonetischen Nuancen des menschlichen Stimmgeräts transportieren Information und verknüpfen sie sowohl mit dem Gefühl als auch mit dem Gedächtnis des Zuhörers.
Stimme und Emotionen
Eine zentrale Funktion der menschlichen Stimme ist die Übermittlung von Emotionen – jene grundlegenden menschlichen Richtungsweiser, die seit Urzeiten unser Verhalten steuern und die Kommunikation mit unseren Artgenossen ermöglichen. Stimmen können Fröhlichkeit vermitteln, Angst und Unsicherheit ausdrücken, aber auch Entschlossenheit, Macht und Kontrolle symbolisieren. Sie können überzeugen, verführen, neugierig machen, Spannung aufbauen, Vertrauen wecken und Respekt einflößen – sie können aber genauso gut langweilen und einschläfern. Dieses breite Spektrum macht die Stimme zu einem zentralen menschlichen Kommunikationswerkzeug: Über 90 Prozent der Kommunikation spielt sich über Körpersprache und Stimme ab (Quelle).
Emotion und Gedächtnis: Wo warst du am 11. September?
Gerade für das E-Learning ist die emotionale Komponente der Stimme bedeutend: Zahlreiche Studien belegen einen engen Zusammenhang von Emotionen und Gedächtnisleistung. Gefühle können demnach als Trigger und Marker des menschlichen Gedächtnisvermögens verstanden werden.
„Wo warst du am 11. September2001?“: Es gibt wohl kaum einen Menschen entsprechenden Alters, der diese Frage nicht beantworten kann. Emotional prägende Ereignisse brennen sich in unser Gedächtnis ein. Beim E-Learning gilt es, diesen Aspekt der menschlichen Erinnerung zu nutzen, um Stimmen so zu wählen und einzusetzen, dass Rollenverhältnisse vermittelt werden, zum Lernen animiert wird und Inhalte emotional hängen bleiben.
Wichtige Funktionen der Stimme für das E-Learning
Einheit von Stimme und Äußerung
Wichtig ist, dass die Stimme eine Einheit mit dem Gesagten bildet. Das heißt, sie soll den Äußerungen auf tieferer Ebene nicht widersprechen.
Ein Beispiel: „Die sozialpsychologische Forschung spielt eine herausragende Rolle bei Analyse der zwischenmenschlichen Kommunikation.“
Wird dieser Satz leise, zögerlich, mit wechselnder Stimmfrequenz und vielleicht sogar mit steigender Intonation gesprochen, ergibt sich im menschlichen Gehirn ein Widerspruch zu dem seriösen, faktischen Inhalt der Äußerung. Um die volle Bedeutungskraft zu entfalten, müsste er also idealerweise bestimmt, klar, seriös, und bei mittlerer Lautstärke geäußert werden.
Ausdruck von Interaktivität
Aktives Lernen ist um ein Vielfaches effektiver als passives, rein rezeptives Lernen. Der E-Learner muss an der Kreation des Wissens und der Lerninhalte – wenn auch nur emotional – beteiligt werden. Der Sprecher hat deswegen dafür zu sorgen, dass er nicht nur monologisiert oder „in sich hinein“ referiert, sondern in Ton und Intonation den Lernenden miteinbindet: Der E-Learner muss sich angesprochen fühlen.
E-Learning-Experte Tobias Hagedorn rät in diesem Zusammenhang in einem Interview mit der Sprecher-Agentur SprecherSprecher davon ab, eine Stimme mit regionaler Stimmfarbe zu verwenden. Das grenze die angesprochene Zielgruppe ein und kreiere vielleicht sogar Barrieren zur Lernmotivation der Lernenden aus anderen Regionen.
Wichtig ist es ihm zufolge auch, einen professionellen Sprecher zu engagieren, und nicht etwa aus Gründen der Kostenersparnis- die Praktikantin zu bemühen. Profi-Sprecher haben jahrelange Erfahrung mit dem Einsatz ihres Stimmgerätes und können die Nuancen ihrer Stimme aktiv steuern.
Ausdruck von Rollen und Beziehungen
Je nachdem, welche Inhalte vermittelt werden sollen, kann die Stimme unterschiedliche Beziehungsschemata ausdrücken. Soll es ein Lernen unter Gleichgesinnten, etwa unter Kollegen, sein, hilft vielleicht eher ein freundschaftlicher, animierender, lockerer Ton. Geht es um die Vermittlung von Kompetenz und Respekt – etwa bei dem Lehrvideo eines Firmenchefs – empfiehlt sich eher ein seriöser Ton, um die Machtverhältnisse nicht zu untergraben. Die Lernmotivation ist hier durch die Rangordnung von vornherein meist stark erhöht.
Ausdruck von Persönlichkeit
Stimmen transportieren unsere Eigenschaften nach außen. Sie können extrovertiert, introvertiert, freundlich, kompetent, albern, frech, aggressiv, verunsichert oder überheblich sein.
Können Lernende Gesagtes an eine Persönlichkeit binden, bleibt es besser im Gedächtnis hängen. Das liegt an der Kategorisierung einzelner Reize zu einem Gesamtbild und der Bildung entsprechender Assoziationen. Ein wichtiger Aspekt bei der Wahl der richtigen E-Learning-Stimme liegt daher in der Übertragung einer kohärenten Persönlichkeit, die optimal mit den Lernzielen und dem Lernkontext vereinbar ist.
Fazit: Stimmen bestimmen den Lernerfolg
Zentral bei der Wahl der richtigen Stimme ist die Vermittlung von Emotion, Intention und Motivation. E-Learning-Stimmen müssen zum Lernen anregen, Kompetenz vermitteln und neugierig machen. Gelingt die Wahl der richtigen Stimme für den eigenen E-Learning-Kontext, kann auch der Lernerfolg optimiert werden.
0 Kommentare