Der Vertrag von Marrakesch
Mit der Umsetzung der Marrakesch-Richtlinie, basierend auf dem Vertrag von Marrakesch, wurde der Zugang von Menschen mit einer Seh- oder Lesebehinderung zu urheberrechtlich geschützten Inhalten neu geregelt und in das nationale Urheberrecht überführt.
In § 45b Abs. 2 UrhG wird definiert, dass Menschen mit einer Seh- oder Lesebehinderung im Sinne dieses Gesetzes Personen sind, die aufgrund einer körperlichen, seelischen oder geistigen Beeinträchtigung oder aufgrund einer Sinnesbeeinträchtigung auch unter Einsatz einer optischen Sehhilfe nicht in der Lage sind, Sprachwerke genauso leicht zu lesen, wie dies Personen ohne eine solche Beeinträchtigung möglich ist.
In § 45a des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) bestand zwar bereits allgemeine gesetzliche Erlaubnis zugunsten von Menschen mit Behinderungen – diese wurde durch die neuen §§ 45b bis 45d UrhG modifiziert und ergänzt.
Allgemeine Informationen zu dem Thema finden Sie hier.
Was ist der Vertrag von Marrakesch?
Der Marrakesch-Vertrag ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der im Jahr 2013 im Rahmen der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) in Marrakesch geschlossen wurde. Sein Ziel ist es, weltweit eine bessere Versorgung mit barrierefreier Literatur zu fördern und zu erreichen.
Aus dem Vertrag entstand die sogenannte Marrakesch-Richtlinie der EU (2017/1564) und regelt die Umsetzung des Vertrags innerhalb der europäischen Union. Durch das deutsche Urhebergesetz hat der deutsche Gesetzgeber die EU-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt.
Eine weitere EU-Verordnung (EU) 2017/1563 regelt den Umgang mit Drittstaaten, die nicht EU-Angehörige sind.
Was regeln §§ 45b-d UrhG?
Die hinzugefügten Regelungen regeln verschiedene Umstände, die allesamt zum Ziel haben, Menschen mit Behinderungen im Rahmen des Sehens bzw. des Lesens zu unterstützen und etwaige Benachteiligungen aus dem Weg zu räumen.
Der Marrakesch-Vertrag und die entsprechenden Umsetzungen beziehen sich jedoch nicht auf alle Arten urheberrechtlichen Werke. Vielmehr stehen Texte, Notationen und Bilder und Illustrationen im Vordergrund und dürfen barrierefrei gestaltet werden, auch ohne Erlaubnis des Urhebers.
Folgende Regelungen sind in den einzelnen Normen enthalten:
- Blinde, seh- oder lesebehinderte Menschen und „befugte Stellen“ dürfen barrierefreie Formate von Texten und Bildern und Zeichnungen herstellen. Dies kann z.B. durch Umwandlung in Hörbücher oder in Braille-Schrift geschehen. Eine Erlaubnis des Urhebers bzw. Lizenzverträge müssen sie mehr nicht einholen bzw. schließen. Zu den befugten Stellen gehören beispielsweise Bibliotheken und Blindenschulen.
- Die befugten Stellen dürfen diese Exemplare mit anderen befugten Stellen austauschen. Hinzukommt, dass sie sowohl physische Exemplare (offline, z.B. in Braille-Schrift) als Exemplare in elektronischer Form (online, beispielsweise als e-Book im e-Pub3-Format) an Menschen mit einer Seh- oder Lesebehinderung ausgeben können.
In all den Fällen ist jedoch gemäß § 45a UrhG eine angemessene Vergütung an den jeweiligen Rechteinhaber zu zahlen, wenn es zu mehr als nur einzelnen Vervielfältigungen kommt.
Vervielfältigungsstücke dürfen nur von Werken erstellt werden, zu denen der Mensch mit einer Seh- oder Lesebehinderung rechtmäßigen Zugang hat (vgl. § 45b Abs. 1 S. 3 UrhG).
Was sind befugte Stellen?
Wie im Marrakesch-Vertrag vorgesehen, spielen für den Weg zu barrierefreien Werken den „privilegierten Einrichtungen“ eine gewichtige Rolle. In Deutschland werden diese laut dem Urhebergesetz „befugte Stellen“ genannt. Diese verteilen sich über das gesamte Bundesgebiet, sodass in jedem Bundesland etwa 16 befugte Stellen vorhanden sind. Dabei handelt es sich in der Regel um Hörbüchereien und Medienanstalten sowie (Blinden- und Sehbehinderten-)Verbände.
Die befugten Stellen sind zulassungspflichtig. Das bedeutet, dass eine entsprechende Einrichtung die staatliche Zulassung beantragen und begründen muss. Dies geschieht über das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA). Das in München ansässige Bundesamt fungiert zudem gleichzeitig auch als Aufsichtsbehörde der befugten Stellen.
Die befugten Stellen ermöglichen und organisieren es unter anderem, die barrierefreien Fassungen der Originalvorlage herzustellen und zu verteilen, pflegen Verzeichnisse für Produktions- und Vertriebspartner und stellen eine wichtige Bezugsquelle dar. Zudem haben sie die Sorge dafür zu tragen, dass die für die Berechtigten frei verfügbaren Werke tatsächlich nur an Menschen mit einer Seh- oder Lesebehinderung oder an andere befugte Stellen übermittelt werden, also nicht darüber hinaus vertrieben und zugänglich gemacht werden.
Was ist mit dem Kopierschutz?
Für die Herstellung barrierefreier Versionen kann anders als in im allgemeinen Urheberrecht der Kopierschutz, der auf Werken liegt um das Vervielfältigen zu verhindern, umgangen werden. Sofern dies nicht funktioniert, kann zumindest die Herausgabe einer barrierefreien Version des Werkes gefordert werden. Der Urheber muss in diesen Fällen das Werk herausgeben bzw. den Kopierschutz aufheben und kann sich nicht auf seine Schutzrechte berufen.
Auch sollen Export und Import barrierefreier Werke möglich sein, und dies nicht nur durch privilegierte Einrichtungen, sondern auch durch Individualpersonen, sofern Sie unter den Kreis der Berechtigten fallen.
Weiterführende Links
Zu den gesetzlichen Grundlagen:
https://www.studentenwerke.de/de/content/gesetzliche-grundlagen
Hochschulforum Digitalisierung (2020), Barrierefreiheit in der Online-Lehre – Eine Handreichung
Prof. Dr. iur. Jörg Ennuschat, Nachteilsausgleiche für Studierende mit Behinderungen – Prüfungsrechtliche Bausteine einer inklusiven Hochschule, Rechtsgutachten
https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Marrakesch-Richtlinie.html
https://irights.info/artikel/was-macht-eigentlich-der-marrakesch-vertrag/30752
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